Teil 34 – Neues Pferd – darf ich mich vorstellen?

Wer sein Leben mit Pferden verbringt, wird immer mal wieder einem neuen Pferd begegnen. Manchmal nur kurz, weil man einem anderen Pferdemenschen hilft. Manchmal, weil man einen neuen Weggefährten bekommt. Ein ruhiger, souveräner und konsequenter Umgang ist für mich selbstverständlich, aber wie kann man das auch wirklich erreichen?

 Jeder, der bei mir schon mal etwas mit meinen Pferden gearbeitet hat, kennt mein Vorstellungsritual.

Vorbereitung

Ziel: Abstreifen der Alltagshektik, Fokus

Eine gute Zusammenarbeit beginnt in meinen Augen schon mit dem Führen und damit beim Führenden. Also beginnen wir mit dem Menschen: schulterbereit stehen, durch leichtes Schwanken die ganzen Fußsohlen erspüren. Wenn man sich seinem Fundament bewusst ist, stabilisiert sich fast schon automatisch die ganze Wirbelsäule. Schultern zurück und Muskeln lockerlassen. Gefühl bis zum Kopf nachfühlen und zur Ruhe kommen. Jetzt haben wir die Anspannungen und Aufregungen des Alltags abgestrichen und sind bereit mit dem sensiblen Riesen los zu legen.

Antreten und Halten

Ziel: Konzentration von allen Beteiligten, Abstimmung der Signale

„Wir lassen das Pferd antreten“ – eine Formulierung, die uns aus alten Lehrbüchern bekannt vorkommt. Hier bedeutet das, dem Pferd durch einen leichten Impuls am Halfter das Zeichen zum Loslaufen zu geben, ohne selbst los zu laufen. Geduld, Präzision und Disziplin sind gefordert.

Je nach Pferd kann das ganz einfach gehen, bei anderen hängt man schon fast in der Diagonale bevor sich ein Huf hebt. Als mir diese Aufgabe das erste Mal gestellt wurde, hat mich meine schwarze Perle eiskalt hängen lassen. Also keine Sorge, wenn das nicht sofort klappt. Probiert die richtige Dosierung zwischen Energie, Stimme, Zupfen am Strick und vielleicht auch mal dem Antippen mit einer Gerte. Und keine Ungeduld, wenn sie euch auch mal reinlegen – Sie heben den Huf, man läuft los und sie haben extra gewartet bis du zuerst den Schritt machst. Einfach lachen und nochmal probieren.

Vielleicht entdeckt der ein oder andere einen richtigen Sturkopf bei seinem pferdischen Partner.

Bei meinen Jungs geht das ganz leicht.

Das Anhalten ist die nächste Herausforderung. Der Mensch führt und stellt sich dann konsequent und gerade in die Grundhaltung mit den Füßen schulterbreit, Schultern zurück (ohne Hohlkreuz).

Der Führende wählt den Zeitpunkt des Haltens bewusst. Das klingt simpel, aber meistens halten wir einfach an und schlurfen selbst ins „Halt“. Dann hält das Pferd entweder nicht oder spät an, oder steht nicht geschlossen. Wenn man zu abrupt die Bremse reinhaut, kann es sein das Pferd dreht sich, um einen nicht umzurennen oder kommt verspannt und mit gehobenem Kopf zum Stehen.

Man muss also die gemeinsame richtige Dosis für ein entschiedenes, bewusstes Halten finden.

Mit demselben Vorgehen kann ich das Pferd auch auf meine andere Seite bringen. Wenn das Pferd also rechts von mir steht, lasse ich es rückwärts treten, etwas seitlich gehen und dann links wieder vortreten und Halten. Dabei drehe ich mich zwar mit dem Oberkörper, aber mein Stand bleibt erhalten. Manchmal nehme ich eine Gerte zum Touchieren als Unterstützung. Langfristig reicht Stimme, Zupfen am Strick und Stimme. Das Zusammenspiel und die Dosierung von Hilfen ist immer die große Aufgabe – mit dem Ziel immer feiner zu werden.

Tempo, Richtung, Intensität

Ziel:  Abstimmung und Teamwork

Beim Führen ist der Kopf des Pferdes vor uns. Wir laufen, wenn es „perfekt“ läuft, auf Höhe der Schultern des Pferdes. Diese Position kann man nicht immer sofort erreichen, weil das Pferd einem dazu schon vertrauen muss. Warum mag ich diese Position? Weil ich ihnen Emotionen schon ansehe, ob den Schalk im Nacken, das Zielen auf den Grasstreifen oder die Nervosität wegen des heranfahrenden Traktors.

Nun nutzen wir die Fläche, die sich uns bietet – es muss nicht nur geradeaus gehen.

Schlangenlinien, Volten und Wendungen können Abwechslung in diese Rahmenarbeit bringen.

Wenn wir einen Menschen beobachten, lesen wir verschiedene Körperregionen um seine Bewegungen vorauszusehen. Zum Beispiel zeigen unsere Schultern wohin wir gehen, auch wenn der Kopf ganz woanders hinschaut. Genau das lesen die Pferde auch. Das bedeutet wir können mit der Ausrichtung unserer Schulterlinie den Weg vorgeben. Schlangenlinien in unterschiedlichen Bogengrößen bringen uns also in die Arbeit auf der Strecke.

Dazu beeinflusst unser Gang den Schwung und das Tempo des Pferdes. Laufen wir stark, voller Energie und mit großen Schritten (fast schon wie im Theater) voran, wird das Pferd seine Tritte verlängern und das Tempo erhöhen. Nehmen wir uns dann wieder zurück, sammelt sich das Pferd wieder. Treten wir dann ganz sanft und zurückhaltend auf, wird auch das Hufklappern unseres Begleiters leise und sanft. Es kann sehr beeindruckend sein, wenn so ein 700kg-Kaltblut plötzlich neben einem schleicht, sodass man die Hufeisen fast nicht mehr auf dem Teer hört.

Durch dick und dünn

Ziel: Beziehung auf allen Ebenen

Wir beginnen damit gemeinsam durch Engstellen zu gehen – z.B. simuliert durch eine Cavaletti-Gasse. Anschließend geht man getrennte Wege: Pferd durch die Gasse, Führender nebendran oder andersrum. Immer Vor und Zurück, geführt mal von rechts und mal von links, um das Cavaletti, Hütchen oder Hindernis.

Aber auch die Höhe soll keine Rolle spielen – der Führende steigt zum Beispiel auf das Cavaletti und balanciert entlang. Oder man läuft auf einer Mauer oder einem Hügel entlang. Damit übt man das Führen und Steuern von indirekten Positionen. Im Pferdealltag sind das Aufstiegshilfen und das Verladen.

Dieses Programm mache ich tatsächlich immer wieder in einzelnen Elementen.

Z.B. wenn ich besonders viele Themen im Kopf habe, mit denen ich mich nicht gleichzeitig beschäftigen sollte, wenn ich mit den Pferden arbeite. Oder wenn ich merke, dass mein Partner heute nicht so gut drauf ist. Wir führen unsere Pferde ja immer wieder – zum Putzplatz, zur Koppel, zum Reitplatz, in den Hänger. Beim Spaziergang am Tag, an dem die Kraft, das Wetter oder das Zeitbudget nicht mehr zulässt oder wenn ein Pferd mal nur Schritt gehen darf. Es gibt also genug Anlässe, sich mal wieder an die Zusammenarbeit zu erinnern.

Also nehmt euch mal die Zeit für die Basis!

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